Eine Auseinandersetzung aus dem Jahr 1975
Juni 1969: eine ganze Stadt geht auf die Barrikaden, „gegen ungerechte Tarife und ein mangelhaftes Nahverkehrsangebot“. Hannover organisiert eine „beispiellose Selbsthilfe unter dem Zeichen des Roten Punkts“ und mit dem Resultat, dass „als Ergebnis des erfolgreichen Bürgerprotests … die Basis für ein einheitliches und gerechtes Tarifsystem“ geschaffen wird. So ist es noch heute in der Chronik der Hannoverschen Verkehrsbetriebe (Üstra) nachzulesen.
Sechs Jahre später, im April 1975, langt die inzwischen kommunalisierte Üstra kräftig zu, erhöht die Fahrpreise drastisch um bis zu 150 Prozent. Tausende sind wieder auf der Straße, der „Rote Punkt“ lebt wieder auf. Fünfzig beteiligte Organisationen, an ihrer Spitze der bundesweit bekannte Kabarettist Dietrich Kittner, treffen auf Polizisten, die „stoßen und draufhauen“, derweil „verspritzen andere aus der zweiten Reihe Tränengas in die eingekeilte Menge, sorglos, als sei die von Demonstranten und Beamten so genannte ,Chemie-Keule‘ nur eine Wasserpistole“ (Der Spiegel). Die Auseinandersetzungen eskalieren.
Da stellen sich am 7. April zwei Kirchenmänner – die Pastoren Hartwig Hohnsbein und Klaus Rauterberg – im vollen Ornat an die Spitze des Demonstrationszuges. Ihre Absicht: „Deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass diese Demonstration ohne Anwendung irgendwelcher Gewalttaten verlaufen soll.“ Denn: „Als Pastoren einer Kirche, die für Gewaltlosigkeit eintritt, sollten wir zur Stelle sein, wenn Zwischenfälle und Ausschreitungen drohen.“ Der Fall schlägt hohe Wellen.
Nicht jeder findet ihr Verhalten gut. Kirchenvorstände distanzieren sich, der Landessuperintendent rügt den Eindruck, „als ob die Kirche auf der Seite derer stehe, die die Forderung der Rot-Punkt-Aktion durchsetzen wollten. Dies sei jedoch nicht der Fall.“ Die Landeskirche leitet ein „Amtszuchtverfahren“ ein – gegen Pastoren, die sich zum Missfallen ihrer Amtskirche nicht das erstemal politisch hervorgetan haben. Monate einer zähen Auseinandersetzung folgen.
Auf 86 Seiten haben die Herausgeber – zugleich Beteiligte – die damaligen Ereignisse anhand von Original-Dokumenten nachgezeichnet. Ein zweiter Teil zeigt ergänzend den geschichtlichen Hintergrund auf, macht den schwer auflösbaren Konflikt zwischen Amtskirche und Pastoren deutlich, nämlich dass hier „völlig verschiedene Auffassungen gegeneinanderstehen“, so Landesbischof Hans Lilje in einem Gesprächsprotokoll vom Mai 1968. Es sind verschiedene Auffassungen darüber, wie weit sich Kirche politisch einmischen darf und auch muss.